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Der Moselweinbau im 19. Jahrhundert
Als durch den Wiener Kongress im
Jahre 1815 das ehemals kurtrierische Gebiet dem preußischen Staat
mit seinem großen inneren Markt zugeschlagen wurde, begann für
den Weinbau an Mosel-Saar-Ruwer eine Blütezeit. Durch einen Weinzoll
begünstigte Preußen seinen eigenen Weinbau erheblich.
Die Anbauflächen wurden erweitert,
die Riesling-Rebe begann sich durchzusetzen, und an der Mosel herrschte
relativer Wohlstand. Diese glücklichen Jahre für die Winzer waren
aber nur von kurzer Dauer. Sie endeten fast schlagartig mit dem Beginn des
Zollvereins im Jahre 1834. Der Schutzzoll auf Wein fiel fort, und die Weine
aus den süddeutschen Gebieten, aus dem Rheingau, Rheinhessen und der
Pfalz strömten in großen Mengen in Preußen ein.
Die Winzer und Weinhändler der
Mosel erhoben zwar beim Abschluß des preußisch-hessischen Zollvereins
heftigen Protest, der jedoch ohne Wirkung blieb. Die Preise für Moselwein
sanken mehr und mehr (von 1833 bis 1837 um 70%).Der "Verein zur Förderung
der Weinkultur an Mosel und Saar" schrieb 1838: "Dice Zollvereinsstaaten
(also die hessischen und süddeutschen) können auf gleicher Bodenfläche
mit ungleich weniger Kosten und Arbeit das Drei und Vierfache gegenüber
dem Moselweinbau erzeugen und daher mit unseren Felsgebirgen, denen das
Produkt gleichsam abgerungen werden muß, stets siegreich in Konkurrenz
treten." Außerdem hatten die süddeutschen Länder den Vorzug,
mit ihren weicheren Rebsorten den Publikumsgeschmack in manchen Teilen Preußens
besser zu treffen als der Moselweinbau.
Zu allem Unglück setzte nun auch
noch eine Reihe von Mißjahren ein, die den Moselriesling nicht zur
Reife kommen ließen, so daß der Wein unverkäuflich blieb.
Der o. a. Verein schrieb 1840: "Man findet keinen Käufer für den
Wein oder muß ihn zu einem Spottpreis verkaufen. Es fragen die Käufer
nicht mehr nach den vorzüglichen Kellern, sondern nur nach solchen,
deren Besitzer durch die Umstände am verkäuflichsten geworden sind"
Der Wein lagerte oft 6 bis 8 Jahre im Winzerfaß, und schon wegen des
Platzes mußte man häufig zu Notversteigerungen schreiten, wovon
die Zeitungen jener Zeit ein Zeugnis geben. Mitunter war das Faß teurer
als der in ihm lagernde Wein. Entsprechend sanken natürlich auch die
Weinbergspreise.
In Kinheim wurde im Jahre 1837 eine
vierjähriger Wingert für 11/2 Pfennig den Stock versteigert. Manchmal
hatte der Pfahl mehr Wert als der Grund und Boden, auf dem er stand.Wegen
der großen Not wanderten viele Winzer aus und suchten durch Veräußerung
ihrer Weinberge noch eben das Reisegeld nach Amerika und Australien herauszuschlagen.
Nach eigenen Aussagen ist diese Not der Moselwinzer um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts einer der Gründe für Karl Marx gewesen, sich mit
wirtschaftlichen Fragen zu befassen. Von Trier aus berichtete er damals
ausführlich in verschiedenen Zeitungen über die Notlage im Moselweinbau.
Er geißelte darin insbesondere die beschönigenden Berichte der
Verwaltungsstellen und die Untätigkeit der Regierung. Erschwerend für
die Winzer kam auch die Steuerlast hinzu. Es gab u. a. eine Weinmoststeuer,
die zwar ursprünglich als eine abwälzbare Verbrauchssteuer gedacht
war, dann aber doch voll durch die Winzer selbst getragen werden mußte
(s. heute die MwSt.).
Neben der beachtlich hohen Grundsteuer
führte diese Steuer dazu, daß außer dem Gerichtsvollzieher
auch der Steuereintreiber ständiger Besucher vieler Winzerbetriebe
war.Als eine wesentliche Maßnahme zur Abhilfe des Notstandes wurde
von Regierungsseite die Reduzierung der Weinbergsflächen propagiert.
Für die Aufgabe von Rebland wurden Prämien gezahlt und Steuerbefreiungen
gewährt.
Damals entstanden auch die Vorläufer
der Winzerverbände. Der ",Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen"
errichtete eine Sektion für Weinbau mit Lokalabteilungen in Trier,
Bernkastel, Wittlich und Zell. Als Unterbau gab es die sog. Casinos und
Dorfvereine. Eine wesentliche Aufgabe dieser Organisationen war neben der
Interessenvertretung und Information der Winzer auch die gemeinsame Beschaffung
von Produktionsmitteln und Reben.Gewerbe und Industrie gab es im Moseltal
so gut wie nicht. Man versuchte es mit dem Aufbau einer Seidenindustrie und
förderte zu diesem Zweck den Anbau des Maulbeerbaumes.
Im Jahre 1858 gab es im Kreise Bernkastel
bereits an die 30 000 Maulbeerpflanzen. Die Krefelder und Elberfelder Fabriken,
welche die Rohstoffe von der Mosel bezogen, waren sehr zufrieden mit der
Qualität. In geringem Umfang gab es auch Webstühle. Diese Entwicklung
sollte jedoch bald ihr Ende finden. Mit dem Jahre 1857 nahm der Moselweinbau
einen ganz erheblichen Aufstieg. Die 50er und 60er Jahrgänge waren,
von wenigen Ausnahmen abgesehen, ganz hervorragend und erzielten z. T. beachtliche
Preise. Gerade der Riesling war es, der in diesen guten Jahren die besten
Weine brachte und der Mosel einen guten Ruf in ganz Preußen und darüber
hinaus verschaffen konnte, was nicht ohne Auswirkung auf seine weitere Verbreitung
blieb.
In den 50er Jahren entstanden an der
Mosel auch die ersten Winzergenossenschaften oder Winzervereine. 1854 waren
es an der Mittelmosel deren fünf, nämlich in Reil, Kröv,
Kinheim, Ürzig und Piesport. Ziel war vor allem eine gemeinsame Kellerwirtschaft
sowie eine vorteilhaftere Verwertung der Weine, in der Regel über den
Handel. Außerdem ging es um eine bessere Finanzierung und Bevorschussung
der Ernten. Der Genossenschaftsgedanke konnte sich jedoch damals noch nicht
allgemein und dauerhaft an der Mosel durchsetzen, insbesondere nicht in
Zeiten guter Weinpreise (von jeher sind die Winzer eher in schlechten Zeiten
bereit, sich enger zusammenzuschließen).Erwähnenswert ist auch
die damals wachsende Bedeutung der Fachschulen für den Qualitätsanbau.
In einer Petition des "Central-Weinbauvereins für die Mosel und Saar"
an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz hieß es u. a.: "Eine tüchtige,
lebenskräftige Wein- und Obstbauschule mit Versuchsweinbergen und Kellerei
in Bernkastel halten wir vorläufig für die wichtigste Lebensfrage
des Winzerstandes an der Mittelmosel; alles andere muß gegen dieses
höchste Zukunftsziel zurücktreten."
Als ein außerordentlich verdienstvoller
Helfer der heimischen Winzer hat sich in jener Zeit der Trierer Chemiker
Dr. Ludwig Gall erwiesen, der im Jahre 1851 seine vielbeachtete "Anleitung,
sehr gute Mittelweine selbst aus unreifen Trauben zu erzeugen" schrieb und
als Erfinder der sog. Naßverbesserung (des "Gallisierens") gilt, eines
noch heute notwendigen und unverzichtbaren Verfahrens. Gall sagte damals
u. a. "Die Zeiten, wo man jede Verbesserung Verfälschung nannte, liegen
hinter uns, und der Unsinn der Behauptung, daß die Natur beim Wein
alles tun müsse, wird ebenfalls anerkannt." Gall wußte, "daß
die feinsäuerlichen, bukettreichen und frischen Moselweine zwar unter
allen übrigen Weinen einen ganz besonderen, hervorragenden Platz haben,
doch nur in guten Jahren ihre ganze Güte zur Reife kommt". Das Gall'sche
Verfahren der Verbesserung wurde denn auch von dem berühmten Naturwissenschaftler
Justus von Liebig nachdrücklich verteidigt, der bei dieser Gelegenheit
auf die in Frankreich üblichen Praktiken hinwies. Gall rief im übrigen
auch zu einem stärkeren Zusammenschluß der Winzer auf und machte
eindringlich auf die Probleme der Weineinfuhren und der damit für den
heimischen Weinbau verbundenen Konkurrenzschwierigkeiten aufmerksam.Gallisierter
Wein des Jahrgangs 1852 kostete pro Fuder 105 bis 117 Taler, unverbesserter
Wein hingegen nur 25 bis 30 Taler. Vielfach wurde jedoch das Gallisieren
nicht im Produktionsgebiet, sondern in den Konsumzentren vorgenommen (vor
allem am Niederrhein), was der Qualität nicht sehr förderlich war
und den Winzern erheblichen Schaden zufügte.
Der Weinhandel in den Konsumgebieten
hatte also zunächst den Hauptvorteil von der neuen Methode, zumal den
Winzern meist auch das Geld für den Zucker fehlte. Erst die Weingesetze
von 1892, 1901 und 1909 brachten die genaue Definition der Weinverbesserung,
wobei allerdings die Handelskammer Trier darauf hinwies, "daß vor
allen deutschen Weinbaugebieten die Mosel-Saar-Ruwer dasjenige ist, welches
wegen seiner klimatischen und Bodenverhältnisse und wegen der seit
altersher angepflanzten Riesling-Rebsorte durch einige Paragraphen des Weingesetzes
besonders hart betroffen wird".
Felix Meyer schreibt dazu in seiner
Geschichte des Weinbaus an Mosel-Saar-Ruwer (Koblenz 1926): "Bei einem Rückblick
auf die Geschichte des Moselweinbaus im 19. Jahrhundert können wir
feststellen, daß schlechte Jahre in großer Uberzahl häufiger
waren als gute und vortreffliche Jahrgänge. So wird der Moselweinbau
nicht eher ruhen, bis an Stelle des Reichsweingesetzes mit seiner schematischen
Zuckerungsgrenze ein Landesgesetz getreten ist, das den individuellen und
lokalen Verhältnissen und Lebensbedingungen der nördlichen Weinbaugebiete
mehr Rechnung tragen wird, oder aber bis die Mosel im Reichsweingesetz eine
besondere Berücksichtigung gefunden haben wird." Diese Feststellungen
sind auch heute noch aktuell.Die Probleme des Weinbaus an der Mosel, dies
geht aus einer solchen geschichtlichen Betrachtung wohl hervor, waren und
sind nicht nur die Probleme eines einzelnen Berufsstandes, sondern sie waren
und sie sind zugleich auch von existenzieller Bedeutung für die gesamte
Region und die hier lebenden Menschen.
Quelle: Jahrbuch des Kreises Bernkastel-Kues 1985
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